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Warum Persönlichkeitsentwicklung?

Historischer, evolutionärer Hintergrund

Wozu haben wir eine Persönlichkeit?

Der evolutionäre Hintergrund dazu in Kurzform ist:

Wir Menschen sind soziale Wesen, aufeinander angewiesen zum Überleben, Wohlfühlen und Lieben. Um verlässlich miteinander kooperieren und harmonieren zu können, bilden wir Persönlichkeitsstrukturen aus, die uns erkennbar und berechnber im sozialen Gefüge platzieren. Unsere Persönlichkeit ist das "soziale Interface", das wir für die anderen entwickeln, um unsere eigenen (und die gemeinsamen) Motive zu verfolgen.

Wir neigen dazu, unsere Persönlichkeit mit unserer Identität gleichzusetzen.

Die Verunsicherung über unser Funktionieren und Glücklichsein in verschiedenen sozialen Bezügen nimmt in den Jahrzehnten unserer vielfältigen sozialen Welt zu: Nie zuvor haben Menschen ein Leben lang immer wieder andere und teils sehr fremde soziale Bezüge erlebt, geschweige denn mussten dort funktionieren und ihr Glück finden.

Nie zuvor waren auch die Möglichkeiten größer, über das persönliche Lebensglück nachzudenken und die Freiheit zu haben, aktiv danach zu suchen. Diese neue Freiheit und Herausforderung trifft nun auf diese alte, auf Stabilität und Beharrlichkeit optimierte Persönlichkeitsstruktur. Und als wäre das nicht Herausforderung genug, ist uns meist nicht einmal bewußt, dass unsere Persönlichkeit etwas Geformtes und Gelerntes ist.

Unsere Persönlichkeit ist nicht der Kern unseres Seins, sondern eine erworbene Struktur. Aber wir denken eher: Das bin ich! Oder: Ich bin halt so!

Mit dieser Gleichsetzung von Persönlichkeit und Identität kann man, wenn etwas nicht stimmig im Leben empfunden wird, die Ahnung bekommen:

A) entweder, dass man selber ist nicht gut genug für die Welt/die anderen ist,

B) oder dass die anderen/die Welt schlecht zu einem ist.

(Oder eine komplizierte Mischung aus beidem).

Wenn nun der Gedanke naheliegt "Na dann passe ich meine Persönlickheit eben an", möchte ich an dieser Stelle vorbeugen: Meine Ausführungen laufen nicht darauf hinaus, dass man doch dann ja umgekehrt, wenn man das einmal kapiert hat, nach Belieben seine Persönlichkeit so umformen kann, wie es passt. Darauf komme ich weiter unten zurück.

 

In welchem Kontext macht unsere Persönlichkeit Sinn?

Die meiste Zeit in der Geschichte haben Frühmenschen und Menschen in eher kleineren und stabileren Gruppen von Menschen gelebt. Zum Beispiel in einem Familienverband, einem Clan, einem Dorf. Dort kennen sich alle persönlich und wenn man dort hineingeboren wird, bildet man genau in dieses soziale Gefüge hinein seine Persönlichkeitsstruktur aus. Das ist ein früh einsetzender, sehr stark prägender Prozess, der kaum willentlich durch Denken oder Wollen im Kind oder in den Eltern geformt wird, sondern sich durch permanente (emotionale) Verstärkung von erwünschten Reaktionen des Kindes durch Eltern und weitere Bezugspersonen bildet.

Im (historischen) Normalfall wird diese Anpassung bis ans Lebensende reichen. Zum Zeitpunkt der Heirat geht die Hälfte der jungen Menschen (in traditionellen Kulturen eher Frauen als Männer) in die Nachbarfamilie oder vielleicht ins Nachbardorf, um dort den Rest des Lebens zu bleiben. Die Menschen im Nachbarort sind ähnlich, oft kannte man die auch schon vorher. In der Regel verbringt man also den allergrößten Teil seines Leben in ein und derselben Gruppe vertrauter Menschen.

Dafür ist unsere früh geformte Persönlichkeitsstruktur ursprünglich gemacht und darin ist Stabilität von Vorteil: Gegenseitige Berechenbarkeit ist vertrauensfördernd und in wechselseitig abhängigen Beziehungen ist dies entscheidend für das Wohlergehen aller.

 

Von der Mono- zur Multisozialisierung?

Heute leben wir (im Westen und zunehmend in Schwellenländern usw.) durch unsere räumliche und soziale Mobilität in zunehmend vielfältigen sozialen Bezügen, die eine ständige Flexibilität und Anpassung von uns verlangen. Dafür sind wir aber historisch betrachtet nicht optimiert: Wir sind erst einmal monosozialisiert. Es wird sich zeigen, inwieweit wir Menschen auf längere Sicht lernen, mit der Anforderung Multisozialisierung zurecht zu kommen.

Ein Risiko unserer Monosozialisierung ist, unter den Anforderungen verschiedener sozialer Umfelder eine nur oberflächliche Anpassung zu zeigen und sich innerlich zu verbiegen. Innerlich verbiegen kann bedeuten, absichtlich gegen Teile der ursprünglich sozialisierten Persönlichkeitsstruktur zu kämpfen.

Dies erfordert einen hohen psychischen Preis. Zunehmende Zahlen von psychischen Erkrankungen, speziell auch Depressionen und Burn-Out können dafür ein Ausdruck sein.

Man könnte sich das ungefähr so veranschaulichen (wobei es Menschen i.d.R. nicht in dieser Form bewußt ist): "Ich habe mir diese Persönlichkeit nicht komplett freiwillig ausgesucht, ich musste sie so bilden in meinem primären Umfeld. Ich habe keine Wahl, als mich daran zu halten, damit ich akzeptiert werde und leben kann. Aber schon mit dieser Persönlichkeitsstrutur kann ich meine Motive und Bedürfnisse in einigen Umfeldern nicht optimal erfüllen. Und jetzt wird in dieser Arbeitswelt zusätzlich von mir erwartet, dass ich auch noch SO und SO bin. Wenn ich das auch noch erfülle, bin ich zwar akzeptiert und gut, aber meine Motive bleiben erst recht auf der Strecke."

Die Krux ist also, wenn die Persönlichkeitsstruktur ihre ursprüngliche Funktion verliert, unsere Motive im sozialen Zusammenleben zu erfüllen und stattdessen zur reinen Erfüllung der Erwartungen der Anderen wird.

Es ist auch grundsätzlich die Frage, ob eine wiederholte und lebenslang wechselnde soziale Anpassung überhaupt die Lösung für ein glückliches Leben in wechselnden sozialen Bezügen ist. Persönlichkeitsstrukturen dienen der Erfüllung unserer menschlichen Motive im sozialen Kontext. Sie sind also die Brücke zwischen unseren innersten Antrieben und der äußeren Welt der anderen Menschen, mit denen wir in Kooperation unsere Erfüllung bewerkstelligen müssen.

Brauchen wir jetzt viele neue Sets von Persönlichkeiten, die wir nach Belieben wechseln und ständig neu produzieren können? Oder: Wie flexibel und flüssig und veränderbar können unsere Strukturen werden, so dass der starr klingende Name Strukturen schon nicht mehr passt? Und egal ob wechselnde Strukturen oder flüssigere Strukturen: wie schaffen wir es, den Kontakt zu unserer innersten Quelle, zu unseren Motiven und Bedürfnissen nicht zu verlieren?

 

Wie geht es weiter?

Niemand weiß, wohin die menschliche Entwicklung insgesamt gehen wird. Nach allem Wissen und gemachter Erfahrung glaube ich eher an ein vorsichtiges flüssiger und flexibler Werden von Persönlichkeitsstrukturen, bei der die Ausrichtung an den inneren Motiven stärker gefühlt wird und mit größerer Einfühlung den anderen Menschen gegenüber flexibler gelebt wird. Ich habe solche Veränderungsprozesse bei Menschen (auch bei mir selbst) erlebt; viele psychotherapeutische Ansätze, körpertherapeutische Ansätze, spirituelle Schulen, viele Übungswege mit Tanz, Gesang, Yoga uvm. können diese Entwicklung fördern. (Es ist ein ganz eigenes Thema, wie was davon bei wem wirkt.)

Ganz praktisch fängt Wandel von Persönlichkeit (z.B. Flexibilisierung, mehr Ausleben von ursprünglichen Motiven und Bedürfnissen) an den Stellen der Persönlichkeitsstruktur an, die sich in mehreren Lebenskontexten als stark hinderlich für das Erfüllen der eigenen Motive erweisen. Die also "mit der Welt kollidieren".

Psychologisch ausgedrückt könnte man das z.B. so ausdrücken: "Meine gelernte Struktur ist in meinen heutigen sozialen Umgebungen viel zu restriktiv für die Erfüllung meine Wünsche und Sehnsüchte; ich könnte mich eigentlich viel erfüllender ausleben. Nur wie?" Statt "restriktiv" könnte dort auch stehen: "misstrauisch", "unterwürfig", "dominierend", "raumgreifend", "laut", "leise", "sprunghaft" uvm.

Die psychologische Ausdrucksweise ist eher "technisch", sie baut auf der Erkenntnis über das Wesen von Persönlichkeitsstrukturen auf. Das Empfinden in den Menschen selber ist dabei ganz anders und geht eher in die Richtung Zweifel über das Wohlwollen der anderen, Zweifel an der eigenen "Gutheit", Traurigkeit/Frust über Entäuschungen mit anderen Menschen usw.

 

Das Menschenbild

Interessanterweise (und nicht zugfällig) erinnern diese Ausführungen über das flüssiger / flexibler Werden von Persönlichkeitsstrukturen an die Beschreibung mancher Zen-Meister (und anderer spiritueller Schulen), die ausschließlich im Hier und Jetzt auf genau das reagieren, was ist; unberechenbar und gleichzeitig weise und hilfreich für die Menschen. "Heute sage ich ja, morgen sage ich nein." Auch passend dazu sind Aussagen wie: "Ich bin nicht mehr das Kind meiner Eltern." Auch all die Weisheiten über die Überwindung des Egos haben hiermit zu tun.

Dies soll die spirituelle Dimension dieser Arbeit andeuten, auch wenn das Etikett hierfür nicht erforderlich ist.

Die Freiheit die wir erlangen können, um erfüllt zu leben, liegt tief in uns, kein anderer Mensch oder Glaube und kein Ort kann sie uns geben. Und wir selbst können die Freiheit nicht willentlich greifen und formen, wir können ihr nur mehr oder weniger im Weg stehen. In diesem Sinne ist Persönlichkeitsentwicklung oder Tiefen Coaching eine Unterstützung, quälend gewordene Persönlichkeitsstrukturen zu wandeln.


Literatur:

Hunter Beaumont:
Auf die Seele schauen
Spirituelle Psychotherapie
5. Aufl. 2011
Kösel

Jared Diamond:
Vermächtnis:
Was wir von traditionellen Gesellschaften lernen können
1. Auflage 2012
S. Fischer Verlage