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Wozu taugt Kommunikation?

oder: Der tägliche Handel mit der Bedeutung - und wie integrale Kommunikation dabei helfen kann

Mal ganz grundsätzlich: Wozu taugt menschliche Kommunikation?

Wir stellen uns eine Gesprächssituation vor. Zwei Menschen sprechen, gestikulieren und zeigen Mimik. Was pas­siert eigentlich in der Kommunikation und wozu brauchen wir sie? Grob gesagt für zwei Dinge:

A. Jeder erfährt etwas vom anderen, mit wem er es zu tun hat.

B. Wir machen uns gemeinsam einen Plan, was wir nachher zusammen tun. Oder auch nicht.

Zu A. Sich ein Bild vom anderen machen

In der Kommunikation gleichen wir unseren Gesprächspartner ab mit unseren Erwartungen, Wertungen und sons­tigen Kategorien von Freund bis Feind, Symp bis Unsymp, angemessen bis unmöglich, dumm bis schlau, gut drauf bis schlecht drauf usw. Dass wir das tun, merken wir meist nicht, es geschieht intuitiv und nicht unbedingt di­rekt. Wir checken Ähnlichkeiten und Unterschiede, Bekanntes und Neues an unserem Gesprächspartner. Dies bewirkt und bestärkt z.B. Gefühle der Zugehörigkeit oder des Fremd-Seins. Dieser Check ist damit auch die Grundlage der gesellschaftlichen Regulierung, welcher Neuling oder Fremdling zu den geltenden Regeln und Kon­ventionen passt und Chancen hat, akzeptiert und aufgenommen zu werden.

(Dieser Check ist auch schon viel älter als unsere sprachliche Kommunikation. Alle Tiere, die sich aufmerksam beäugen und beschnuppern bei einer Begegnung ziehen daraus Schlüsse, wen sie vor sich haben. Auch wir Menschen prüfen unser Gegenüber nonverbal. Es gibt Untersuchungen, dass eine Meinung über ein Gegenüber schon vor dem ersten gesprochenen Wort ziemlich fest steht. In der Sprache setzten wir diesen ersten Test mit erheblich erweiterten Mitteln fort.)

Für den Fortgang der weiteren Beziehung zu meinem Gesprächspartner bedeutet dieser Check: Wenn mein Ge­genüber mein OK erlangt, ist er ein Kandidat dafür, weiterhin mit ihm Kontakt haben zu wollen oder sogar etwas mit ihm gemeinsam zu TUN:

Zu B. Einen Plan machen, was wir gemeinsam tun werden

Wir Menschen tun - mehr als jedes andere Tier - häufig komplizierte Dinge gemeinsam mit anderen. Entweder gleichzeitig mit anderen oder zeitlich versetzt in Absprache mit anderen. Gemeint sind Aktionen, die erst in einer bestimmten Kombination und Abfolge einzelner Handlungen ganz werden und nur als Ganzes Sinn ergeben (Zusammenarbeit :-) ) Um so etwas kompliziertes zu planen müssen wir es uns vorher im Geiste vorstellen. Für diese virtuellen Vorstellungswelten im Kopf brauchen wir hohe geistige Kapazität. Aus dieser geistigen Vorstellungswelt heraus treffen wir dann kommunikativ unsere Absprachen mit den anderen: Wir teilen ihnen Stücke dieser inneren Bilder mit, damit sie den Plan verstehen können und erkennen, was sie an welcher Stelle tun sollen. Oder wir ziehen still selber die nötigen Schlüsse aus unserem vorgestellten Plan und teilen den anderen bloß ihre Aufgaben mit. In jedem Fall brauchen wir eine leistungsfähige Kommunikation, um unsere Handlungen mit anderen Menschen auf ein gemeinsames Ziel hin zu koordinieren. In dem Sinn ist Kommunikation also ein Planungsinstru­ment und ein Synchronisator unserer tatsächlichen Aktionen; egal ob es dabei um den familiären Tagesplan, ei­nen Schlachtplan im Krieg oder einen Projektplan im Unternehmen geht. Wir können uns im Gespräch ein ge­meinsames Bild einer beliebigen Zukunft machen, in dem wir unsere jeweiligen zukünftigen Handlungen im den­kenden Geist vorweg nehmen, aussprechen und uns so auf einander abstimmen können. Nach dem Gespräch sind wir in der Lage, die besprochenen Aktionen tatsächlich wie besprochen umzusetzen. (Das gilt wenigstens für den Idealfall – spätestens nach anfänglichen Handlungen zeigt sich, wie gut wir uns verständigt haben; wir erken­nen es an den Resultaten und Folgen.)

Das Miteinander Reden um gemeinsame Aktionen zu planen ist also ein kritischer Punkt für das menschliche Le­ben. Hier entwerfen wir die Zukunft, indem wir sie in unserem Geist simulieren. Hier planen wir unsere späteren faktischen Handlungen, die die Welt strukturieren werden. Dieses Simulieren in unserem Geist ist der Knackpunkt dabei. Es muss wirklich unser Geist sein, ein intersubjektiver Raum, in dem deine geistige Welt und meine zuei­nander passen und ein WIR bildet. Die Größe und Güte unseres WIR entscheidet darüber, wie gut unsere späte­ren Handlungen zueinander passen und die Ergebnisse erzielen, die wir gewünscht und besprochen haben.

In der Kommunikation erschaffen wir dieses WIR, den gemeinsamen Bedeutungsraum im Geist. Das WIR ist die geteilte Gewissheit, dass wir das gleiche meinen, wenn einer sagt: „...und dann, wenn Heinz seinen Input beendet hat, gehst Du unter den Teilnehmern umher und teilst den Fragebogen aus.“ Oder auch: „Gibst Du mir mal den Dreier?“ Oder: „Und heute Abend, nach der Arbeit, machen wir uns einen gemütli­chen Abend zu Hause, OK?“ Oder: „Gib mir Deckung...!“ Oder: „Erst wenn der Pressesprecher die Nachricht von der Übernahme rausgegeben hat, kannst Du offiziell im Unternehmen von den geplanten Umstrukturierungen be­richten. Je nachdem, wie diese Nachricht von der Belegschaft aufgenommen wird, werde ich mich aus dem Mut­terkonzern dazu beruhigend äußern oder vor den Folgen möglicher Streiks warnen.“ Die vielen Detailfragen nach dem wie, was, wann und warum, die einem beim Ausmalen dieser Beispiele kommen, mögen verdeutlichen, dass die Gesprächspartner bereits ein gut abgestimmtes WIR, einen geteilten Bedeutungsraum erschaffen haben müs­sen, damit nach so einer Äußerung jedem Beteiligten ganz klar ist, was er zu tun hat.

Wie entsteht ein WIR, der Bedeutungsraum, in dem wir unsere Handlungen pla­nen?

1. Geteilter Bedeutungsraum entsteht erst im Austausch – zumindest in unserer Welt

Geteilter Bedeutungsraum zwischen Gesprächspartnern kann in einer pluralistischen Welt des gleichzeitigen Ne­beneinander vieler Wirklichkeiten nicht vorausgesetzt werden. Wir erschaffen ihn im aktiven Austausch.

In unserer multikulturellen und multiperspektivischen Gesellschaft treffen wir ständig auf Menschen mit sehr unter­schiedlichen Wirklichkeiten. Menschen können ihr Leben extrem unterschiedlich gelebt haben und dennoch in Dortmund Hörde seit 20 Jahren nebeneinander wohnen. Die Unterschiede können z.B. sein: kultureller Hintergrund per Geburtsort, Werte im Elternhaus, Schulbildung, Erlebnisse in der Kindheit, berufliche Entwicklung, Intelligenz oder andere angeborene Tendenzen, Förderung von Talenten, Einfluss von Freundeskreisen usw. Umgekehrt herrscht in konventionellen Gesellschaf­ten mit großer physischer Nähe, wenig Mobilität und keinem frischen Wind von außen eine weit größere Homogenität des geteilten Bedeutungsraumes. Jeder kennt z.B. die herrschenden Regeln und weiß auch, dass jeder sie kennt (was nicht heißt, dass sie nicht gebrochen werden, aber dann weiß man, dass man sie bricht). Gleiches gilt für Schönes und Häßliches, Wahres und Falsches. Entsprechend gibt es weniger Raum und Duldung für Individualität, Eigensinn, Anders Sein. Der Vorteil an homogenen Gesellschaften (und tendenziell jeder Subkultur) ist, dass Zweifel und Prüfung, ob wir uns mit unserem Gesprächspartner wirklich ver­stehen, nicht erforderlich sind. In unserer stärker durchmischten Gesellschaft kommt dagegen ein großes Spektrum von Menschlich­keiten parallel vor, und wir kommunizieren mit Personen rund um den Globus. Da ist es schon fast die Ausnahme, mal jemanden zu treffen, mit dem man auf Anhieb dieselbe Sprache spricht und sich wirklich mühelos versteht. Dinge wie: ein gleiches Alter haben / die gleiche Schule besucht zu haben / Eltern mit ähnlichen Berufen gehabt zu haben / den gleichen Beruf auszuüben / auch im Chor zu singen / auch Fußball zu spielen / auch vegetarisch zu Essen sind da willkommene Erleichterungen für besseres gegenseitiges Verständnis. Dennoch wir wohl jeder schon die Erfahrung gemacht haben, dass diese Ähnlichkeiten kein Garant ist für übereinstimmendes Weltverstehen.

Erste Empfehlung: Weniger voraussetzen, bei mir anfangen

„Ich höre auf voraus zu setzen, dass wir uns verstehen werden. Ich gehe nicht automatisch davon aus, dass du denkst und fühlst wie ich. Ich strebe an, dass wir uns verstehen werden und bin bereit, dafür etwas zu tun: Ich gehe mit Neugierde und Offenheit auf dich zu. Um das zu können, räume ich bei mir selbst auf und suspendiere meine Urteile über dich und halte meine Er­wartungen anpassungsbereit in der Schwebe. Das beginnt schon vor dem ersten Wortwechsel und hört nicht auf. In dieser Haltung können wir leichter einen gemeinsamen Bedeutungsraum erschaffen.“

2. Geteilter Bedeutungsraum braucht eine gemeinsame Sprache

Geteilter Bedeutungsraum wird zur Hälfte durch gemeinsam verwendete Vokabeln und zueinander passenden Satzstrukturen erschaffen. Diese gemeinsame Sprache wird im Austausch ausgehandelt.

Sätze, die flüssig aneinander anknüpfen und in denen die Gesprächspartner die gleichen Schlüsselworte und Wendungen sprechen, sind ein erster und keineswegs selbstverständlicher Anfang für die Erschaffung eines ge­meinsamen Bedeutungsraums. Oft leisten wir anfänglich direkte Übersetzungsarbeit, wenn für uns ungewohnte Begriffe verwendet werden: „Meeting? Du meinst so eine Arbeitsbesprechung unter Kollegen?“ - „Nee, Meeting ist mit Kunden...“ Oder: „Dann machen wir dazu einen Workshop...“ - „Ah, so mit verschiedenen Vorträgen und an­schließender Diskussion und Übung?“ - „Meine Workshops sind ganz ohne Vorträge; die Referenten führen die Teilnehmer direkt in die Übung und diskutieren währenddessen, was passiert und warum sie was machen.“ Die­ses Finden einer gemeinsamen Sprache ist ein wichtiger Teil des Verstehens, jedoch bleibt es unter Umständen immer noch recht oberflächlich. Denn: zu jedem Wort und Satz gibt es eine individuelle, innere, unsichtbare Be­deutung aufgrund unterschiedlicher Perspektiven: Wenn z.B. George Bush von Verteidigung spricht, ahnen wir eine Bedeutung mit ganz anderen Konsequenzen als bei einem Unternehmer, der sich gegen die Übernahme durch einen Konzern verteidigen will.

Zweite Empfehlung: Worte und Bedeutung auseinander halten

Ich höre auf zu glauben, dass ich schon weiß, was du meinst, nur weil du die erwarteten oder ähnlichen Worte und Sätze sprichst. Stattdessen bleibe ich offen und neugierig auf den Sinn hinter deinen Worten.

Wenn also ein Wort, ein Satz, eine Aussage für dich und für mich nicht unbedingt das gleiche bedeutet:

Wie erfahre ich den Sinn deiner Worte, deine innere Bedeutungswelt, um sie mit meiner zusammenzubringen und ein WIR zu schaffen?

3. Geteilter Bedeutungsraum braucht gegenseitiges inneres Verstehen

Gemeinsamer Bedeutungsraum entsteht zur anderen Hälfte durch Reden-über-das-Verstehen: Nicht nur das The­ma selbst ist der Gesprächsgegenstand, sondern ich verbalisiere auch, was ich wie verstehe, wie es mir damit geht, sowie auch meine Vermutungen darüber, was du wie verstehst. Dies ist das Reden über den Bedeutungs­raum, der sich unsichtbar im jeweiligen persönlichen Inneren befindet. In dem Maß, wie ich mit meinem Ge­sprächspartner mein und sein inneres Verstehen austausche und aufeinander abstimme, entsteht ein zunehmend verlässlicher, gemeinsamer Bedeutungsraum.

Durch das Reden-über-das-Verstehen schaffen und prüfen wir also einen gemeinsamen Bedeutungsraum, wenn wir von verschiedenen Perspektiven und Konstruktionen her kommen. Anders ausgedrückt entfalten sich darin die mentalen pluralistischen Künste der Perspektiveinnahme (Hineindenken und Hineinfühlen) sowie die mentalen in­tegralen Künste der A-Perspektivität. Das „A-“ steht hier für „Nicht-mehr-nur“-Perspektivität und meint eine höhe­ren mentale Warte, die man jenseits der Perspektivität erklimmt. Dort „sehe“ ich, wie ich Bedeutung und Gefühle konstruiere und wie du Bedeutung und Gefühle konstruierst – und auch noch beides gleichzeitig. Die kommunika­tiven Instrumente und Kompetenzen dazu sind die Künste des achtsamen Reformulierens und Nachfragens.

Dritte Empfehlung: vermutete Bedeutung und eigenes Verständnis explizit kommunizieren

Ich reformuliere aus meinem eigenen Verständnis heraus, was ich von dir verstanden habe und lege es dir zur Prüfung vor. Ich frage nach, wenn ich nicht sicher bin, ob ich dich richtig verstanden habe oder du mich.

Der Knackpunkt...

So weit, so schön. Der skizzierte Dreischritt

1. Nicht voraussetzen zu verstehen / verstanden zu werden,

2. Begriffsverwendung klären und

3. Verständnis spiegeln

klingt zunächst etwas mühsam, aber machbar. So ging es mir selbst beim Erlernen, und diese Rückmeldung kommt oft aus den Workshops und Trainings. Mit der Haltung, die ich hier durch die 3 Empfehlungen angedeutet habe und vor allem mit etwas Übung kann man die Kommunikation und die Zusammenarbeit mit sei­nem Umfeld schon bald erstaunlich verbessern. Mit der Zeit vergeht auch das Gefühl der Mühe – im Gegenteil, es stellt sich ein Gefühl der Freiheit und Freude ein, nachfragen zu können und der Neugierde Platz zu machen. Spielerischer und intuitiver Einsatz der 3 Schritte machen Spaß und fördern ungemein ein befriedigendes Mitei­nander. Kennen Sie umgekehrt diese enge und unangenehme Gefühl, nach einem Gespräch das Fazit ziehen zu müssen: „Also eigentlich weiß ich gar nicht, was der jetzt genau gemeint hat und was der tatsächlich will.“?

Diese Art zu kommunizieren hat aber Grenzen, die man auch durch noch so viel Übung und guten Willen nicht beeinflussen kann.

1. Grenze: Die kommunale / kulturelle Unmöglichkeit, so zu reden.

Dieses Nachfragen, Spiegeln, Klären und Reden über das Verstehen ist nicht gerade verbreitet. In vielen gesell­schaftlichen Subkulturen, Unternehmenskulturen, Freundeskreisen, Gruppen und Familien (soziale Systeme) herrscht ein inoffizieller aber von allen befolgter Code, wie und worüber man miteinander sprechen darf. Das merkt man schon, wenn man als Fremde in einen neuen Kreis kommt oder wenn umgekehrt ein neues Gesicht im eige­nen Verein auftaucht.

Der von mir empfohlene Dreischritt zur besseren Verständigung macht aber keine Vorgaben, worüber man sprechen darf. Daher ist er Sprengstoff für die Regeln, wie man miteinander sprechen darf und wie man eventuell abweichend Bedeutung versteht. Der Sinn jedes kommunalen Codes einer Gruppe über Inhalt und Form der Kommunikation ist ja gerade, dass man sich darin bewegen kann, ohne immer wieder neu klären zu müssen, was man sagen darf oder nicht. Das hat große Vorteile für die Effizienz und Stimmigkeit innerhalb der Gruppe, schafft Identität und Zugehörigkeit – limitiert aber die Freiheit anderer möglicher Perspektiven.

Der Dreischritt beruht explizit auf der prinzipiellen Pluralität der Perspektiven, das ist ein Ausdruck von Freiheit. Fragen, wie dieses genau gemeint ist und Spiegelungen, wie jenes verstanden wurde können da regelrechte Störungen sein und Verwunderung bis Abwehr provozieren. Die unerwartete Störung besteht zum einen in der Nennung von unerlaubten Themen und zum anderen in der direkten Reflexion. Damit hebt sie die sonst herrschenden Umgangsregeln auf.

Mit dem Dreischritt stört man die Codes von Gruppen umso mehr, je weniger Vielfalt der Sagbarkeiten/Themen erlaubt sind und je selbstverständlicher die erlaubten Umgangsformen sind. Mit anderen Worten: je weniger Perspektiven im Umgang einer Gruppe (soziales System) integriert sind, umso störender wird der Dreischritt.

Perspektivenvielfalt sowie die Möglichkeit, aus einer Metaperspektive diese Perspektiven nebeneinander reflektieren zu können sind aber auch direkte Maßstäbe für zunehmend entwickeltes Bewusstsein. Weiter oben wurde dazu die A-Perspektivität bereits genannt – der Wesenskern des integralen Bewußtseins. Damit möchte ich den vorgestellten Dreischritt explizit als eine mögliche Ausdrucksform integraler Kommunikation zuordnen. Damit kommen wir zur 2. Grenze.

2. Grenze: Das Bewusstsein der Gesprächspartner

Wenn ich meine Gesprächspartner mit dem Dreischritt traktiere, hängt das Ergebnis auch stark vom Bewusstsein meines Gesprächspartners ab. Kommunikation mit dem Dreischritt gelingt umso besser, wenn beide Partner ihn beherrschen bzw. zumindest ein ähnlich weit entwickeltes Bewußtsein haben. Wenn man als Gelingen weitgehendes gegenseitiges Verstehen (Innen) sowie verlässliche Absprachen bezüglich gemeinsamer Aktionen (Außen) meint.

Man begegnet praktisch aber allen möglichen Arten von Leuten mit verschiedenen Bewußtseinsausprägungen. Wenn nur Person A den Dreischritt integral beherrscht (und die Situation gerade nicht von einschränkenden Umgangformen geprägt ist, s.o.), fühlt sich erfahrungsgemäß Person B sehr angenehm dabei: Sie kommt in den Genuss voller Aufmerksamkeit und starken Interesses. (Diese Konstellation ist übrigens auch typisch für geschützte Therapie-, Coaching-, und Beratungssituationen.) Hierbei wird zwar B gesehen und gut verstanden, A aber deutlich weniger. Für die gemeinsamen Aktionen bedeutet diese Konstellation schon starke Verbesserungen. Das Gelingen im Sinne des gegenseitigen Verstehens und Eintauchens in die Innenwelten, das Schaffen eines weiten und tiefen Wir ist aber deutlich reduziert. Dies kann ziemlich frustrierend sein, wenn A eigentlich auch selbst gern tief verstanden werden will. Auch wenn A sich mal nicht stark oder willens genug fühlt, den Großteil der Klärungsarbeit und Absprachengenauigkeit allein zu leisten, kann es sich unbefriedigend und einsam anfühlen. Hier hilft, wenn man A ist, zu bemerken, dass man hadert und sich dann immer wieder neu zu prüfen: Was will ich tatsächlich erreichen? Für wen und für was tue ich das?

Es kann aber auch sein, dass eine bestimmte Enge bei Person B (sei sie thematisch und absichtlich oder auch grundsätzlich und bewusstseinsbedingt) zu Irritation, Ausweichen oder offener Ablehnung gegen die integral klärende Kommunikation führt. Je sensibler man wird, umso schneller erkennt oder ahnt man die Unmöglichkeit oder Ablehnung beim Gesprächspartner – ich schätze aber, dass man hier nie auslernt.

Natürlich spielen auch Sympathie und Stilunterschiede eine Rolle, auf die ich hier aber nicht weiter eingehen werde.

Wozu betone die Grenzen des „Erlaubten“ und die Grenzen des Bewußtseins der Gesprächspartner so?

Ich möchte damit warnen vor der Hoffnung oder der Auffassung, man müsse also bloß diesen Dreischritt einmal lernen und dann wäre alles gut.

Ich möchte aber genauso davor warnen, wegen der möglichen Schwierigkeiten oder Enttäuschungen diesen Dreischritt gleich wieder komplett zu verwerfen: „Na das bringt' s doch nicht, wenn ich es nicht mal einfach anwenden kann oder mich keiner dabei versteht...“

Vielmehr möchte ich dazu ermutigen, gerade angesichts der genannten Grenzen kreativ mit dem Dreischritt umzugehen und einen ganz eigenen, flexiblen Stil damit zu pflegen! Gehen wir das mal durch, was das heißt:

1. Nicht voraussetzen zu verstehen / verstanden zu werden,

2. Begriffsverwendung klären und

3. Verständnis spiegeln

Der Punkt 1. „nichts voraussetzen“ meint vor allem eine innere Haltung. Daraus folgt keine automatische Handlung, kein vorgegebener konkreter Umgang mit meinen Gesprächspartnern. Diese Haltung kann ich unsichtbar immer haben, in der mir fremdesten Subkultur genauso wie im engsten Familienkreis. Es ist einfach meine Grundeinstellung, wie ich mich und die anderen im Kontakt beobachte. Dies macht also für sich genommen keine Schwierigkeiten mit den genannten Grenzen.

Punkt 2. deutet in seiner Formulierung konkrete Aktivität an: „Begriffsverwendung klären“. Klar kann man das vollkommen direkt (naiv) im Kontakt machen, indem man sofort nachfragt, was jemand mit diesem oder jenem Begriff meint. Das ist aber genau das, was in manchen Gruppen oder Kreisen nicht gut funktioniert (siehe 1. Grenze). Oder es ist für manche eine echte geistige (Über-) Forderung oder persönliche Irritation (z.B. in Fragestellung ihrer ganzen Person). Letztlich geht es hier aber im Kern nicht um das WIE – also wie ich die Verwendung der Begriffe kläre, sondern darum, DASS ich überhaupt irgendwie kläre. Und zwar zunächst einmal nur für mich selbst und: mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln. Natürlich situativ auf die Bedingungen angepasst. Auch Provokantes ist hier absolut möglich, wenn es verantwortlich gehandhabt wird. Das Klären kann außer durch direktes Fragen z.B. durch indirektes Reformulieren der vermuteten Begriffsverwendung geschehen. Es muss also nicht wie eine Frage aussehen. Man kann das Vermutete – oder das genaue Gegenteil – in die eigenen Aussagen einbauen und anhand der Reaktionen darauf die Triftigkeit erkennen. Man kann mit absichtlichen Verzerrungen, Übertreibungen und Ironisierungen arbeiten und in eine spielerische oder ernsthafte Konfrontation mit dem Gesprächspartner gehen. Man kann zu weiteren Erzählungen des Gesprächspartners anregen (wieder auf vielfältige Weise), um beim Zuhören mehr über die Begriffe und deren Bedeutung zu verstehen und sich den hier verwendeten Gebrauch anzueignen. Man kann was auch immer verwenden, wenn es der Klärung der verwendeten Begriffe dient und wenn man verantwortlich mit den Gesprächspartnern dabei umgeht (nicht fertig machen, auch nicht unabsichtlich verletzen).

Diese Ausführungen sollen beispielhaft verdeutlichen: Die Klärung muss nicht als Klärung oder irgend etwas Besonderes auffallen. Es geht auch nicht darum, etwas Geheimnisvolles, Unehrliches oder Überlegenes zu verfolgen! Man soll immer ganz ohne Scham offen „zugeben“ können, was man da gerade im Gespräch eigentlich macht, falls man dies gefragt würde. Eine echte Hilfe dabei ist, der tatsächlichen eigenen Neugierde zu folgen, dem echten Interesse am Verstehen des Gesprächpartners. Ich will nur sagen: Es gibt unzählige Möglichkeiten und persönliche Stile, mehr Klarheit über die gemeinsame Sprachverwendung zu erlangen.

Ich ermutige hier zum kreativen, freien, individuellen Ausprobieren und Entwickeln eine möglichst breiten eigenen „Kompetenzpalette“ des Klärens von gemeinsamer Sprache.

Für Punkt 3. gilt im Prinzip das Gleiche wie für Punkt 2: Es gibt unzählige rhetorische Möglichkeiten, das "Verständnis zu spiegeln": das Verständnis des Gehörten, das vermutete Verständnis, welches der Gesprächspartner von einem selbst hat, das Verständnis dessen, worin man geteilte Auffassungen vermutet oder wo man echte Unterschiede zu sehen glaubt.

Es geht bei 3. um das „Reden über das Verstehen“. Wenn wir hier auf die oben genannten Grenzen stoßen, ist es aber insgesamt schon schwieriger als beim vorgenannten Punkt: Von jemandem ist noch leichter zu erfahren, was er mit dem Satz x eigentlich meint als ihn dazu zu bringen, zu sagen, was er denn jetzt wohl verstanden hat. Grob gesagt: Man kann nicht immer Hilfe oder Entgegenkommen von Gesprächspartnern erwarten. Denn egal wie man es dreht und wendet, egal wie einfallsreich und einfühlsam man es angeht: wenn man von jemandem hören will, wie er einen selbst wohl wiedergeben würde, muss er das auch können. Natürlich hat ein Gesprächspartner immer ein Verständnis von dem, was er gerade gehört hat. Nur dies auch bewußt zu sehen und ausdrücken zu können erfordert eine hohe geistige Kapazität und Selbsttransparenz – und dieses Reden über das Verstehen hat in unseren Kulturen einfach keinen besonders anerkannten Platz: Es wird eher mal als skuril oder typisch Weichei (mehr bei Männern) oder vielleicht sogar esoterisch (mehr bei Frauen) verkannt oder verwechselt. Man kann sich hier also noch mehr mit indirekten Praktiken bemühen, vom Anderen zu erfahren, was er verstanden hat. Es bleibt einem, mit dem Inhalt aktiv im Gespräch zu hantieren, den man selber verstanden hat – und sei es das, was man glaubt, was der Gesprächspartner verstanden hat.

Integrale Verständigung zu meistern ist eine aufregende Reise. Wenn mal wieder ein Gespräch nicht gut gelaufen ist, hat man sich selbst im Weg gestanden – auf eine ganz grundlegende Weise. Meist sind es die eigenen Erwartungen, die uns hinterher enttäuscht fühlen lassen. Und die eigenen blinden Flecken, die uns etwas haben übersehen lassen. In diesem Sinn ist integrale Verständigung Arbeit an sich selbst. Es geht nicht darum, jemand anderes nach den eigenen Vorstellungen zu formen, sondern sich selbst zu formen! Damit ist auch nicht gemeint, sich umgekehrt allen anderen möglichst flexibel anzupassen und angenehm und entgegenkommend zu sein – sich selbst also aufzugeben und zu verschmelzen. Ergebnis einer langen Schulung in integraler Kommunikation (und auch schon ein bisschen Voraussetzung) ist ein eher selbstloser und zugleich starker Charakter. Mit selbstlos ist gemeint, dass man nicht mehr so stark mit Selbstschutz, Selbsterhaltung, Selbstbehauptung und Selbstdarstellung beschäftigt ist, weil das Selbst so groß geworden ist, dass viel Platz darin ist (z.B. auch das Gegenüber ;-) ). Ein starker Charakter meint, dass natürlich immer noch auch persönliche Ziele verfolgt werden, etwas erreicht, verhindert, verbessert oder verändert werden soll – irgendetwas soll eben passieren, wenn man in Aktion tritt. Doch diese Ziele kreisen tendenziell nicht mehr allein um ein selbstbezogenes Ich, sondern können sich auf alles Mögliche mit beliebig großem Rahmen richten – und sind ist durch die enge Verständnis-Koppelung mit den Beteiligten besser dagegen gewappnet, Unfrieden und Leid zu erzeugen.

Dieser Text basiert überwiegend auf dem gleichnamigen Artikel in der Zeitschrift Integrale Perspektiven (IP), erschienen Februar 2007: http://www.integralesforum.org/typo3/?id=348

 

 

 

 

 

 

 

Dieser Text steht unter dem Titel "Verständigung in der multikuklturellen Welt" steht auch als download bereit: wildfoerster_artikel_kommunikation_dreischritt.pdf